Zehn sehr stille aber intensive Tage sind vorbei und die ersten Schritte zurück in der Realität sind echt ungewohnt. Alles ist wieder unglaublich laut, zu viele Menschen, plötzlich nehme ich das ständige angestarrt werden wieder wahr (hatte das ganz gut ausgeblendet...).
Aber von vorn:
Ein paar Worte zur Idee: der ursprüngliche Plan war Anfang September allein nach Indien aufzubrechen. Ich hatte doch irgendwie Respekt vorm Alleinreisen und dachte mir es wäre vielleicht nicht schlecht für den Anfang einen festen Anlaufspunkt zu haben, auch um die ersten Indien-Eindrücke zu verarbeiten und den Kulturschock etwas abzufangen. Also machte ich mich auf Kurssuche – ich dachte an Yoga oder so... Durch Zufall landete ich auf der Homepage des Vipassana-Centers und dachte mir, dass ich nach 10 Tagen Schweigen wohl nie mehr auf meiner Reise so allein sein würde ;) Dann kam doch alles anders – die ersten 3 Wochen Mutter-Tochter-Urlaub, jetzt geht’s erst mal mit Nina und Hans weiter... Trotzdem bin ich froh, dass ich den Kurs mitgemacht habe – war wirklich eine spannende Erfahrung.
Als es dann losging waren wir alle ganz schön aufgeregt und hatten keine so rechte Ahnung was uns erwartet. Wir wussten ja, dass wir elektronische Geräte, Bücher und Schreibzeug abgeben sollten. Letztlich entschließen wir uns auch alle Wertsachen versiegelt in fremde Hände zu geben. Ein komisches Gefühl – wochenlang hatte ich alles was wirklich wichtig war immer am Körper und damit auch immer Angst vorm Verlieren. Ein Gefühl von Leichtigkeit und Gelöstsein machte sich breit – trotz der ganzen Regeln...
Nicht mit Mitmeditierenden sprechen, nicht töten, nicht stehlen, keine sexuellen Aktivitäten, nicht lügen, keine Drogen und die Einhaltung der strikten Trennung von Männern und Frauen. Das nicht Töten bezieht sich natürlich auf alle Lebewesen – nicht ganz so einfach bei Mosquitos und Ameisen...
Das „Dhamma-Centre“ liegt wunderschön in einem kleinen Tal mitten im Wald. Es gab Pfauen, Streifenhörnchen und ganz viele Affen. Nachdem ich mit Schlafsäälen und Gemeinschaftsbad gerechnet hatte, war ich froh über mein eigenes kleines Zimmer und auch an das kalte Wasser aus dem Eimer zum Duschen gewöhnt man sich erstaunlich schnell.
Nach einem letzten 'unterhaltsamen' Abendessen und einer kurzen Einführung ging's los – Noble Silence. Das hieß nicht nur nicht sprechen – auch Gesten, Körper- und Blickkontakt waren nicht erlaubt. Man fühlt sich ein bisschen, wie in Watte gepackt, so ganz mit sich allein. Insgesamt hätte ich es mir aber schwieriger vorgestellt. Es war so schön, dass niemand was von einem wollte. Keine Rikshaw-Fahrer, keine neugierigen Inder. Wir mussten uns einfach um nichts kümmern...
Die erste Stunde Meditation direkt am ersten Abend, danach ging's um 9h aufgeregt aber zufrieden und ruhig ins Bett. Immerhin hatten wir Betten – die 'old students' (die schon mal einen Kurs mitgemacht hatten) mussten auf hohe Betten und dicke Matratzen verzichten... Da war ich doch froh über meine Spanplatte auf Metallgestell mit der härtesten und dünnsten Matratze die ich je gesehen habe ;) Ich habe trotzdem erstaunlich gut geschlafen!
Allerdings nicht so sehr in der ersten Nacht – das lag aber wohl mehr an der Aufregung... Mein Handy lag versiegelt in der 'Aservatenkammer'. Damit hatte ich keinen Wecker und hoffte, dass ich den Guten-Morgen-Gong hören würde.
Der ertönte dann auch um 4h in der früh. Ja, ihr habt richtig gelesen... VIER UHR! Es war noch dunkel und kalt, trotzdem schleppten wir uns jeden Morgen tapfer in die Meditationshalle. Ich mochte die Stimmung am Morgen. Hat mich an das Gefühl in der Morgendämmerung mit dem Auto über einsame Straßen im Nebel zu fahren erinnert...
Der Rest des Tages erfolgte streng nach Zeitplan:
Wie ihr seht haben wir wirklich viel meditiert – 10 Stunden pro Tag... Da bleibt gar nicht so viel Zeit zum Nachdenken. Während der Meditation geht es ja gerade darum möglichst nichts zu denken , was wirklich anstrengend ist und vor allem am Anfang natürlich überhaupt nicht funktioniert! Aber es klappte von Tag zu Tag besser und trotz viel zu wenig Schlaf hatte ich das Gefühl unglaublich präsent zu sein. Erstaunlich, dass durch ein bisschen Konzentration auf die eigene Atmung (in den ersten 3 Tagen) und Empfindungen im Körper beobachten (während der restlichen 7 Tage) doch einiges in Gang kommt.
Das stundenlange Sitzen war wirklich anstrengend und ich kann nicht sagen ob die Schmerzen im Rücken oder in den Knien schlimmer waren. Zudem schlafen vor allem am Anfang natürlich ständig die Beine ein. Aber es wurde immer besser und zum Schluss habe ich zumindest manchmal tatsächlich eine ganze Stunde sitzen durchgehalten!
Wir waren ca. 80 Meditierende, mehr Männer als Frauen und viel mehr Inder als als Foreigners. Ich hatte gedacht auf mehr 'Eso-Leute' zu treffen und war überrascht, von letztlich 'ganz normale Menschen' umgeben zu sein ;) Auch die Altersverteilung war bunt gemischt. Sehr befremdlich war das nicht enden wollende Bedürfnis mancher Inder sich ihrer Gase aus sämtlichen Körperöffnungen zu entledigen (dabei standen die Frauen den Männern in nichts nach!). Ich versuchte dem Ganzen mit Gleichmut (denn genau darum, diesen zu entwickeln ging es ja die Ganze Zeit...) zu begegnen, was nur selten klappte. Oft musste ich echt lauthals in mich reinlachen ;)
Insgesamt war es eine wirklich spannende Erfahrung und ich bin froh durchgehalten zu haben. Es ist anstrengend so sehr bei sich zu sein, sich ständig auf den jetzigen Moment zu konzentrieren. Oft hatte ich auch einfach keine Lust mehr zu meditieren, manchmal war mir langweilig. Dann gab es wieder hochkonzentrierte, wirklich effektive Phasen.
Ab dem 10. Tag durften wir wieder sprechen. Es war spannend sich nachdem man 10 Tage auf so engem Raum zusammen war das erste Mal zu unterhalten und wir saßen bis spät in der Nacht noch zusammen. Das letzte Mal um 4h aufstehen am 11. Tag war dann ganz schön hart ;)
Um 7h war der Kurs dann offiziell zu Ende. Ich war erst mal ganz schön überfordert. Jaipur erschien mir noch lauter, dreckiger und voller als zuvor und ich war froh, dass wir noch für den selben Abend ein Zugticket nach Udaipur buchen konnten.
Völlig übermüdet freuten wir uns auf unsere Liegen im Zug. Schon am Bahnsteig wurde klar, dass es wohl recht eng werden würde. Irgendeine Zulassungsprüfung für Landvermessungsjobs fand am nächsten Tag statt (ich hab's nicht so recht verstanden...) und tausende junge Männer versuchten dort hin zu kommen. Ich sah das erste mal Menschen auf dem Zugdach sitzen – typisch indisch, dachte ich zu diesem Zeitpunkt noch schmunzelnd. Wir kämpften uns zu unseren Plätzen und erkämpften uns ein Plätzchen auf unseren Liegen – gar nicht so einfach. So voll war es wirklich noch nie! An Schlaf war also nicht wirklich zu denken. Ich versuchte mich also stattdessen zu unterhalten – mit Händen, Füßen und ein bisschen Englisch... Irgendwann in der Nacht wurde mir beiläufig gesagt, dass gerade 5 Menschen gestorben waren. Kollision mit einer Brücke. Wirklich berührt schien davon niemand zu sein. Ich bin immer wieder schockiert wie wenig wert Leben hier zu sein scheint. Als wir morgens Aussteigen und über den Bahnsteig laufen sehen wir wie vor dem mit Blut bespritzten Wagon ein Interview gedreht wird. Mir ist schlecht und ich frage mich wie viel Indien ich ertragen kann.
Die letzten 2 Tage haben wir uns in Udaipur, Indiens romantischster Stadt, erholt. Heute Abend geht’s auf den Weg hoch nach Dharamsala – und vielleicht klappt es ja, dass wir den Dalai Lama sehen :) !